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#01 Counting Stars

in Past 10.01.2021 14:31
von Natsch • 20 Beiträge | 52 Punkte

COUNTING STARS
EINE ENTSCHEIDUNG

Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern, als ich das erste Mal in die feurigen Augen des arabischen Vollblutes blickte. An seine Unberechenbarkeit, gepaart mit einer unglaublichen Anmut, wie sie nur ein solch edles Tier besitzen konnte. Ich erinnere mich an die Hitze und staubtrockene Luft, während der dunkle Fuchs über den Platz jagte, als wolle er meine Gedanken unterstreichen. An die Worte des Besitzers, die ich nicht verstand und an meinen Handschlag als ich dieses Pferd blind kaufte. Zu jedem Zeitpunkt nach diesem Kauf, konnte ich – ohne ein schlechtes Gewissen zu haben – sagen, dass dieser Kauf, der beste in meinem Leben war. Das Saruk ox, der wunderschöne dunkle Fuchs mit der breiten Blesse die sich über seinen konkaven Nasenrücken erstreckte, eines dieser Pferde war, welches du nie in deinem Leben vergisst.

Ich bedachte das blasse Mädchen mit den großen blauen Augen und dunklen Haaren im Spiegel mit einem skeptischen Blick. Im Grunde war ich kein Mädchen mehr, sondern mit meinen 20 Jahren schon lange soweit, dass man mich als Frau bezeichnen konnte. Schon meine Mutter hatte immer gesagt, dass ich früh erwachsen wurde und nur eine kurze Zeit wirklich Kind gewesen war. Der jugendliche Leichtsinn hatte mir noch nie gelegen, dafür war ich schlicht und ergreifend viel zu besorgt. Ob es nun daran lag, dass ich den Menschen in meiner Umgebung ungern wehtat - was mir leider unbewusst das ein oder andere Mal passierte - oder aber mich selbst vor allem möglichen schützen wollte, konnte ich beim besten Willen nicht sagen. Eine Draufgängerin war ich noch nie gewesen und würde es wahrscheinlich auch nie werden. Vor allem nicht nach diesem Erlebnis im vorletzten Sommer. Mein Blick im Spiegel richtete sich auf eine hellblaue Schabracke, die an der Wand hinter meinem Bett hing. Mit silbernen Garn war der Name Saruk ox eingestickt. Ein leises Seufzen verließ meine Lippen als ich an den Tag dachte, der nun schon weit über einem Jahr, fast zwei, zurück lag und so vieles für mich geändert hatte. Eigentlich alles. Saruk war ein dunkelfuchsfarbener Hengst mit einer breiten Blesse und stammte ursprünglich aus den arabischen Staaten. Er war ein arabisches Vollblut und brachte mich in der Vielseitigkeit echt weit. Brachte. Es gab ihn nicht mehr. Erneuert seufzend, wandte ich den Blick von der Decke ab und knotete mir die Haare mit einem Zopfband zusammen. Ich war mit meiner besten Freundin verabredet, die ich heute zu ihrem Pferd bringen sollte, da ihr Auto sponn. Angeblich, seit dem Unglück versuchte sie mich immer und immer wieder an das Reiten heran zu führen - mich würde es nicht wundern, wenn dieser ein weiterer, verzweifelter Versuch in diese Richtung war. Ich verließ mein Zimmer, nicht ohne noch einen letzten Blick auf die Decke zu werfen und ging zielstrebig zu dem Wagen meines Bruders. Selbst konnte ich mir ein Auto zwar leisten, doch sah ich dafür keinen Anlass wenn ich mir den Audi A4 genauso gut borgen konnte. Schließlich war mein Bruder den ganzen lieben langen Tag mit seinem Transporter auf der Arbeit.
Die Fahrt zu meiner besten Freundin dauerte nicht lang und bald schon saß sie, sprudelnd wie immer, neben mir auf den Ledersitzen des deutschen Autos. Meine Güte, ich hatte in den letzten 12 Stunden in denen wir uns nicht gesehen hatten wohl eine Menge verpasst, oder aber vergessen (verdrängt wohl eher) wie viel sie reden konnte. So genau hörte ich ihr gar nicht zu. Konnte ich gar nicht, was sie aber nicht bemerkte - oder überging. Ich verlangsamte das Tempo als wir das Gelände erreichten und das große Haupthaus zu meiner rechten aufragte. Direkt schoss mir durch den Kopf, wie beeindruckend dieses Gebäude war. Flüssig parkte ich den Wagen neben einem Cabrio ein und stieg aus. Jess war schon fast aus dem Wagen gesprungen als ich noch nicht wirklich gestanden hatte und stolperte einen kurzen Moment über ihre eigenen Füße. Die Augen leicht verdrehend, musterte ich die Brünette mit einem theatralischen Kopfschütteln, dazu jedoch nichts sagend. "Koooomm, mein Pferd wartet schon!, kaum zu glauben, dass diese Frau - die da gerade herumsprang wie ein aufgescheuchtes Huhn - ganze 25 Jahre alt sein sollte. Meine Mutter hatte Recht, ich war wohl zu erwachsen - oder zu nüchtern. "Ich komm ja schon!", antwortete ich mit gespielt genervter Stimme und setzte mich in Bewegung. Nicht nur das Haupthaus war beeindruckend, nein. Auch die Stallungen und die Anlage an sich machte einen mehr als nur tollen Eindruck als Jess mich ein wenig rumführte. Alles wirkte sehr harmonisch, freundlich und offen für Besucher und jene, die eventuell Teil der gesamten Reitgemeinschaft werden wollten. Uns kam eine junge Frau entgegen. An der Hand führte sie einen braunen Hannoveraner der eine schöne Blesse hatte. Interessiert hob ich eine Augenbraue und beobachtete Jess dabei, wie sie die junge Frau - Bea hieß sie - in ein kleines Gespräch verwickelte. Daraus ging für mich heraus, das der Anderen der komplette Hof gehören musste. Ich war erstaunt. Kurz reichten wir einander die Hände und ich hielt dem Pferd meine Hand hin, welche interessiert beschnuppert wurde. Ein Streicheln der Nüstern ließ ich mir entlocken, ehe ich die Hand wieder zurück nahm und in meine Hosentasche schob. Ich konnte nicht behaupten, dass ich mich besonders wohl fühlte, was jedoch nicht direkt an diesem Pferd lag. Vielleicht war ich auch nur nervös - so genau konnte ich das grad nicht sagen. Nach einem kurzen Gespräch - dem ich nicht so ganz folgte da mein Blick nach wie vor auf dem Braunen lag, der an der Jackentasche seiner Besitzerin rumzupfte - verabschiedeten wir uns wieder und begaben uns in Richtung des Stalles in welchem das Pferd von Jess vorrübergehend einquartiert war - bis ihr eigener Stall hinterm Haus wieder bezugsfähig war.

Nando stand im dritten Stall neben einer Stute. An dem feinen Hechtkopf und dem feurigen Ausdruck in ihren Augen, konnte ich auf den ersten Blick erkennen, dass es sich dabei um einen Araber handeln musste. Es versetzte mir einen Stich und ich wandte rasch den Blick ab, meine Konzentration auf den weißen Wallach Jess' legend. Er war ein schweres Warmblut und eher träge, doch Jess kam prima mit ihm zurecht und ich konnte mir kein anderes Pferd an ihrer Seite vorstellen. Jess und Nando gehörten einfach zusammen. Ich griff nach dem Führstrick des weißen Pferdes und führte es - auf Jess' Bitte hin - zu den Putzplätzen. Nando folgte mir wie ein treuer Dackel und ließ dabei mehr als entspannt die Ohren seitwärts baumeln. Mein Gott, beim Laufen schlief er schon fast ein! Belustigt darüber, schüttelte ich leicht den Kopf und band den 17jährigen Wallach ruhig an. "Nando du Schlafmütze! Heute musst du arbeiten! Willst du dich Mal auf ihn draufsetzen? Bestimmt ist er dann viel arbeitswilliger...", ich hörte Jess noch bevor ich sie sah und wandte mich verneinend zu ihr um. "Netter Versuch, aber nein danke.", antwortete ich fast schon eine Spur genervt von dieser - viel zu bekannten - Frage. "Sag Bescheid, wenn du fertig bist.", mit diesen - recht lieblosen - Worten drehte ich mich um und verließ das Duo, ein wenig überfordert mit der Situation. Seit über einem Jahr hatte ich nicht mehr auf einem Pferd gesessen und jeder Besuch bei Jess oder mit Jess bei einem Stall wurde mit der Zeit wirklich eine Qual für mich. Ich hatte das Gefühl nicht wirklich loszukommen - von Saruk. Von der Reiterei. Gleichzeitig vermisste ich das Gefühl der inneren Schwerelosigkeit und Zufriedenheit die mich jedes Mal überkam - zumindest früher.

Gedankenverloren lief ich - ohne wirkliches Ziel - über den Hof und landete, ausgerechnet, wieder in der Stallreihe, in der Nando stand. Ruhig flog mein Blick über die einzelnen Stalltüren. In diesem Moment bemerkte ich das helle Wiehern eines Fohlens, welches meine Aufmerksamkeit erregte und automatisch in dessen Richtung zog. Es war die Box der fuchsfarbenen Araberstute und bei ihr, stand ein junger Hengst - höchstens ein paar Monate alt - der aufmerksam die Ohren spitzte als ich über die Stallbox lugte. Der kleine Hengst war fuchsfarben, wie seine Mutter - vielleicht einen ticken dunkler - und besaß eine breite Blesse auf seinem konkaven Nasenrücken. Für einen Moment war ich wie paralysiert, konnte den Blick nicht von dem Fohlen abwenden und glaubte, dass Saruk ähnlich hat aussehen müssen, als er noch ein Fohlen gewesen war. Ich weiß gar nicht, wie lange ich das Fohlen betrachtete, merkte nicht, wie ich meine verschränkten Arme auf der Boxentür ablegte und meinen Kopf darauf bettete und wurde erst durch Schritte in meinem Rücken aus einer Art Starre erlöst. Ein hübscher Kerl, nicht?", drangen die Worte der Hofbesitzerin an mein Ohr und ich wandte mich ihr zu. Ein verhaltenes Lächeln stahl auf meinen Lippen, doch ich nickte. "Er sieht wirklich Klasse aus, jetzt schon!", erklärte ich und ging ihr zwei Schritte entgegen. "Jess hat viel von dir erzählt. Schade, dass du nicht mehr reitest. Sie hält große Stücke auf dich...", ein bitteres Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich fragte mich, warum Jess immer jedem Menschen der ein oder mehrere Pferde besaß, von mir erzählen musste. "Sie übertreibt bestimmt..", nickte ich geschäftig und bemerkte den kurzen Anflug von Amüsement auf dem Gesicht Bea's. Naja... Auf jeden Fall bräuchte ich jemanden, der sich ein bisschen um ihn - Samir - kümmert. Er braucht viel Beschäftigung... und Erziehung, da er zum Verkauf steht.", antwortete mir Bea gelassen und warf einen Blick zu der Boxentüre über welche der kleine Hengst seine Nüstern nach wie vor reckte. Mein Blick verharrte auf den Nüstern des Fohlens und ich zögerte kurz. Das Fohlen stand zum Verkauf und bei der Statur und Anlagen, würde es sicher nicht lange dauern bis... naja, er verkauft wurde. In diesem Moment kamen Nando und Jess um die Ecke und verwundert blickte ich auf die Uhr. Es war doch schon so viel Zeit vergangen! Einen Bruchteil einer Sekunde war ich perplex. "Ich...", Jess unterbrach mich in ihrer gewohnten Art und Weise. "Na... Samir ist ein Hübscher, nicht?", sagte sie aus irgendeinem Grund begeistert und führte Nando in die Nachbarbox. Ich nickte stumm. "Ich weiß noch nicht so recht, Bea.", erklärte ich zögerlich und warf noch einen Blick hinter mir. Den Blick den Jess Bea zuwarf bemerkte ich gar nicht.

Einen langen Augenblick lang war ich wirklich hin und her gerissen, da war die Arbeit - mit einem Fohlen - die wirklich sehr toll sein konnte, aber auch anstrengend. Auf der anderen Seite war da dieser innere Widerstand in mir, der sich gegen den Kontakt zu Pferden richtete. Viele sahen diesen als Schwachsinnig an, ändern konnte ich es aber - noch - nicht. "Ich machs...", es brach viel mehr aus mir heraus, einem Gefühl folgend, als dass ich es wirklich 'sagte'. Mein Bauchgefühl hatte sich nach langer Abwesenheit wieder gemeldet und aus einem mir unbekannten Grund, hielt ich es für richtig, genau darauf zu hören. "Prima! Dann ab Morgen?", ich nickte auf diese Worte hin und sah Bea hinterher, die gerade von einer anderen jungen Frau gerufen wurde. Es schien dringend zu sein. Jess warf mir ein triumphales Lächeln entgegen, welches ich gekonnt ignorierte. "Komm", raunte ich und blickte noch einmal auf die Boxentür des Fohlens, ehe ich auf den Absatz kehrt machte, ein aufgeregtes Kribbeln im Magen, welches mir doch glatt ein Grinsen entlockte..
Das Schicksal ereilt uns oft auf den Wegen, die man eingeschlagen hat, um ihm zu entgehen.

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