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#02 Try

in Past 10.01.2021 14:32
von Natsch • 20 Beiträge | 52 Punkte

TRY
EINE LANGE REISE, BEGINNT MIT DEM ERSTEN SCHRITT

Meine Nacht war kurz und unruhig gewesen. Noch lange hatte ich an Samir denken müssen, dessen Ähnlichkeit zu Saruk mich eindeutig nicht loszulassen schien. Vielleicht sollte ich mir Mal den Stammbaum des jungen Hengstes ansehen, auch wenn ich die Wahrscheinlichkeit eher gering fand, dass sie ein Eltern - oder Großelternteil gemein hatten. Schließlich stammte Saruk aus den arabischen Staaten. Ein Decksprung war auch unmöglich - zumindest ein natürlicher. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, vielleicht gabs da gar nichts was diese beiden Pferde verband und ich wurde langsam paranoid. Dennoch hatten meine Gedanken noch eine gewisse Zeit lang über diesem Thema gehangen und mir das Schlafen so gut wie unmöglich gemacht hatte. Dementsprechend angeschlagen war ich am Morgen als der Wecker klingelte. Ich fühlte mich wie gerädert und mit einem leichten Knurren gab ich dem elendigen Klingeln nach. Es dauerte eine Weile bis ich mich an die Helligkeit gewöhnte die in dem Haus herrschte, durch welches mein Bruder schon Stunden früher gefegt war. Überall sah man sein entlang kommen. Hatte wohl Stress am morgen gehabt, der Gute. Es nicht mehr anders gewohnt, begann ich meinen Tag damit, die Sachen wegzuräumen, für die mein Bruder einfach keine Zeit mehr gehabt hatte. Es störte mich nicht, hatte mich auch nie und es würde mich wundern, wenn es irgendwann der Fall sein würde. Schließlich war ich froh, dass mein Bruder mich bei sich wohnen ließ - mietfrei - dafür sorgte ich eben dafür, dass das Haus aufgeräumt war. Wir lebten gut nebeneinander her und gingen uns nur selten auf die Nerven. Auf meinem Handy waren bereits drei Nachrichten von meiner besten Freundin und ich überflog diese nicht sonderlich gewissenhaft. Natürlich schrieb sie davon, dass sie mir viel Spaß heute wünschte und ich mir keine Sorgen bei Samir's Mutter machen brauchte. Safiye sei eine total liebe Stute. Ich antwortete ihr kurz und präzise, alles andere würde sie wohl einfach nur verstören und sie würde mich fragen, warum ich heute denn so fröhlich sei. Meinen momentanen Gemütszustand konnte ich nicht wirklich beschreiben. Ich glaube.. das beste Wort dafür war nervös. Wenn ich ehrlich zu mir war, war ich sogar tierisch nervös. Es fühlte sich so an, als würde ich das erste Mal zu einem Date gehen und dennoch einen ganzen Plan parat zu haben. Natürlich hatte ich das, schließlich wollte ich nicht unvorbereitet bei dem Fohlen aufkreuzen - auch wenn sich mein heutiges Vorhaben eher auf das Kennenlernen und per 'du' werden beschränkte. Nachdem ich dem Chaos Herrin geworden war, ging ich wieder in mein Zimmer und zog mir sehr bequeme Jeans und ein Tanktop an. Dieses Mal blieb mein Blick jedoch nicht an Saruks Decke hängen, was schlicht und ergreifend daran lag, dass ich versuchte meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken - was mir aber nur mäßig gelang. Was würde ich nicht alles dafür geben, meine Gedanken kontrollieren zu können. Es würde mein Leben ungemein erleichtern..

Die Fahrt zum Hof dauerte nicht so lang und ich hielt mich nicht lange damit auf, den Wagen meines Bruders perfekt in eine Parklücke zu setzen. Augenscheinlich gelassen stieg ich aus dem Audi und fuhr kurz durch mein langes Haar, den Hof vom Parkplatz aus musternd. Ich verband nichts mit diesen Gebäuden, oder mit den Menschen die dort waren, dennoch hoffte ich im stillen - ohne es zugeben zu wollen - dass sich genau das änderte. Mit ruhigen, wenig zielstrebig wirkenden Schritten betrat ich den Hof und schlug die Richtung ein, in die der Stall lag. Doch bevor ich ihn erreichen konnte, hörte ich Hufschläge die auf mich zukamen und einen schwarzen Hengst, der im gemächlichen Trab über den Hof flanierte. Irritiert blieb ich stehen und schaute mich nach dessen Besitzer um, sah aber nicht direkt jemanden, weshalb ich die Richtung wechselte und zu dem Rappen ging. Mit gerunzelter Stirn blieb ich stehen und hob leicht die Hände, woraufhin der Hengst seine Schritte verlangsamte - er wirkte fast verwundert, als hätte er mich nicht gesehen. Jaja. Ich ging ruhig auf ihn zu und griff leicht um seinen Hals um ihn wenigstens ein bisschen vom Weitergehen zu hindern. Black! Irgendwann kauf ich dir ein Ganzkörperhalfter damit du Mal am Putzplatz stehen bleibst! Mit fünf Stricken!, hörte ich die fluchende Stimme und ich konnte das Augenrollen der Anderen in ihrer Stimme hören. Belustigt legte sich ein schiefes Lächeln auf meine Lippen als die junge Frau zu dem Rappen kam und dieser ihr mit einer Unschuldsmiene den Blick zuwandte. "Geht wohl gern Spazieren...", gab ich von mir, als ich mich von dem Rappen löste und die - noch - Fremde ihm ein Halfter überstriff. ZU gern. Er macht das nicht gerade selten..", sie schüttelte theatralisch seufzend den Kopf, ehe sie lächelte. "Ich bin Vivi und das ist Black Eye..", stellte sich die Dunkelhaarige vor und mein Lächeln wurde ein wenig stärker. "Ich bin Nadine und ich kümmer mich ab heute um Samir...", antwortete ich wahrheitsgemäß und strich dem Rappen beläufig über den Nasenrücken, was ihn jedoch nicht zu interessieren schien. "Oh, wie schön! Wir dachten schon er würde zu kurz kommen", das Lächeln von Vivi schien ernst gemeint, weshalb ich es ohne umschweife erwiderte. "Ich bin gespannt.. Hab mich lange nicht mehr um ein Fohlen gekümmert...", unser Gespräch reichte noch ein bisschen weiter. Sie erzählte mir von ihren Pferden und ihrer Labradorhündin, die wenig später zu uns kam. "Wir sehen uns sicher nochmal - du bist ja jetzt öfters hier! Komm Black, du musst arbeiten heute...", ihr grinsen war ansteckend. "Bis dann!", grinste ich zurück, wandte mich ab und ging mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht, endlich, in die Richtung von Samir's Box.

Seine Mutter spitzte die Ohren als ich an die Boxentür kam und schaute mir neugierig entgegen. Einen Moment verharrte ich vor der Box, musterte das Bild welches sich vor meinen Augen abspielte, ehe ich eintrat und die Tür hinter mir leicht zuschob. Der Geruch von frischem Heu und Stroh lag nun überdeutlich in der Luft und sofort kam ein heimisches Gefühl in mir auf. "Na Safiye...", begrüßte ich die Mutterstute mit ruhiger Stimme und trat drei Schritte auf sie zu, ehe sie sich mir zuwandte und die Nüstern in meine Richtung streckte. Schmunzelnd strich ich sanft über die samten Nüstern, ehe ich näher heran trat, eine Hand an ihre Nüstern haltend, um ihr über den fuchsfarbenen Hals zu streichen. Während ich das tat, fing ich an mit der Stute zu sprechen, erzählte ihr von meinem Alltag, dem Job und von meinem chaotischen Bruder, der sich für die ordentlichste Person auf Erden hielt. Mich mit der Mutterstute gut stellend, ihr immer wieder über den seidigen Hals streichend, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, wie das Hengstfohlen, das zuvor geschlafen hatte, um die Hinterhand seiner Mutter lugte. Sein kurzes Gähnen entlockte mir ein Grinsen. "Guten Morgen...", murmelte ich belustigt und hielt dem Hengstfohlen meine Hand hin, welche interessiert inspiziert wurde. Mein Grinsen wurde breiter. "Tja, mein Kleiner.. mich hast du jetzt wohl eine Weile am Hals, bis sich jemand dafür entschieden hat, dich zu kaufen...", teilte ich dem Fohlen mit und strich kurz über die kleinen und extrem weichen Nüstern, woraufhin Samir leicht prustete. "Bist wohl ein bisschen kitzelig..", kommentierte ich diese Handlung amüsiert und zog meine Hand zurück, immer noch ein halbes Auge auf Samir's Mutter, welche sich jedoch schon völlig entspannt ihrem Heu zugewandt hatte. Als ich den Blick wieder auf das Fohlen richtete, war dieses schon ein paar Schritte näher gekommen und beschnupperte meine Beine, meine Hüfte und zupfte leicht an dem dünnen Stoff des Tops. Neugierig war er allemal, eine Eigenschaft, die mir bei dem Training von den Dingen, die jedes Fohlen beherrschen sollte, helfen würde. Während Safiye fraß, probierte ich, wie weit ich das Fohlen bereits anfassen konnte. Die Nüstern waren kein großen Problem, auch wenn sehr deutlich wurde, dass Samir dezent kitzelig dort war. Der Kopf war ebenfalls recht problemlos und ich entdeckte rasch, dass der kleine Hengst gerne an den Ganaschen gekrault wurde. Die Ohren schienen bei ihm jedoch ein großer Störfaktor zu sein, was sein missbilligendes stampfen mit dem Vorherhuf und das wegziehen des Kopfes symbolisierte. Der Hals, wie auch die Brust durften gestreichelt werden, die Rückenlage ließen die Ohren des Fohlens leicht nach hinten zucken und der Bauch führte wieder zu einem leichten Prusten, gepaart mit einem hellen Quiecken. Während der Prozedur, blieb die Mutterstute ruhig, warf mir nur hin und wieder einen Blick zu, schien aber schon erfahren darin zu sein. Da ich heute nicht zu viel machen wollte, blieb ich erst einmal bei den Körperteilen von denen ich nun wusste, dass sie kein Problem für das Fohlen darstellten oder er die Berührungen sogar genoss. So konnte er sich besser an mich gewöhnen und verband mich nicht direkt mit nervigen Fingereien an unliebsamen Stellen. Wie es für Pferde üblich war, begann er natürlich auch mit meiner "Fellpflege" während ich ihn kraulte, was grober ausfiel als wahrscheinlich gewollt. Beim Zupfen am Top wurde dann auch mal etwas Haut mitgezogen, doch ich versuchte ihn nicht durch ruckartiges Erschrecken zu vergraulen, sondern immer wieder, seinen Kopf leicht zur Seite zu schieben, was ihn dazu verleitete, wieder mit seiner Oberlippe an dem Saum des Tops zu spielen. Dabei sprach ich auch mit ihm, wie zuvor mit seiner Mutter. "Weißt du, du erinnerst mich an Saruk...", fügte ich meinen lapidaren Erzählungen hinzu und mein schmunzeln wurde minimal schwächer, während ich ihm abermals über die weiche Fohlenbrust strich. Ich weiß nicht wie lang wir dieses 'Spiel' spielten, doch irgendwann zerrte die vergangene Nacht an meinen müden Geist und ich gähnte kurz, unterbrach das streicheln des kurzen Fohlenhalses und streckte mich.

"Müde gestreichelt?", hörte ich eine - nun ein wenig vertraute - Stimme hinter mir sagen und ich wandte mich mit einem müden Ausdruck im Gesicht um. "Ich hab letzte Nacht nicht sonderlich gut geschlafen, aber das passt schon...", antwortete ich Bea mit einem ruhigen Lächeln auf den Lippen, ihr Blick war einen Bruchteil einer Sekunde nachdenklich, doch sie sagte nichts dazu. "Samir ist wirklich ein Schatz, wenn auch was grob bei der Fellpflege...", fuhr ich fort und hatte das Bedürfnis einen kleinen Bericht abzulegen, schließlich gehörte das Fohlen - noch - Bea. "Er sieht sehr zufrieden aus... aber ja, er wird schnell mal etwas derber..", grinste die Hofbesitzerin und zeigte auf einen leichten blauen Fleck an ihrem Unterarm. "Fellpflege..", ich schmunzelte. Wir unterhielten uns eine Weile über das Fohlen und ich brach kurz das Thema Saruk an, doch erzählte nicht viel über den verstorbenen Fuchshengst. "Er sieht ihm wirklich verdammt ähnlich, sie könnten Brüder, oder er sein Sohn sein..", ich schüttelte den Kopf. "Sein Vater heißt Said...", bekam ich zur Antwort und ich nahm mir vor, ein wenig zu forschen. Den Stammbaum Saruks hatte ich ja eh Zuhause liegen.
Nachdem Bea gegangen war - ich fühlte mich nicht sonderlich kontrolliert - wandte ich mich wieder den beiden Pferden zu und bemerkte, dass der kleine Hengst mich beobachtete. "Ich glaub, für heute reicht's - hm?", fragte ich ihn und ging drei Schritte auf ihn zu, musterte einen Moment lang die weiße Blesse und ließ das erste Mal an diesem Tag, ernsthafte Gedanken an Saruk zu. Viel zu häufig versuchte ich sie zu verdrängen oder mich abzulenken und wahrscheinlich würde kaum einer verstehen, wie man selbst nach fast zwei Jahren, immer noch so dermaßen an einem Pferd hängen konnte. Doch Saruk und ich haben in der Zeit, in der er bei mir gewesen war, viel erlebt. Er war der sturste Esel im Stall gewesen und hatte es mir selten leicht gemacht. An dieser Herausforderung war ich gewachsen, wirklich gewachsen. Meine Mutter hatte Anfangs Bedenken gehabt, Saruk war zwar schon 7 Jahre alt gewesen als wir ihn gekauft haben (ich war natürlich total stolz als ICH den Verkaufshandschlag tätigen durfte), doch teilweise wilder als ein Hengst in seiner bestimmten Phase. Es war ein hartes Stück Arbeit für mich und meinen Trainer gewesen, doch am Ende hatte sich die Arbeit bezahlt gemacht. Wir hatten zwei Jahre Arbeit, drei Jahre lang einen guten Lauf, dann kam das abrupte Ende - ein halbes Jahr nach meinem 18ten Geburtstag. Was die Zeit verging.. Und nun? Nun stand sein Ebenbild mir gegenüber, nur in viel jünger und kleiner.

Ein letztes Mal streichelte ich den Kopf des Fohlens, zeichnete die Umrisse einer Blesse auf seinem konkaven Kopf nach und grinste schwach, als ich seine Nüstern erreichte und Samir diese leicht rümpfte. "Ich weiß, ich weiß...", murmelte ich, ließ von ihm ab und richtete mich auf. "Wir sehen uns bald wieder...", fuhr ich fort und trat nochmal an die Mutterstute heran, auch ihr über den weichen Hals streichelnd, mich stumm am verabschieden. Irgendwie hatte ich ein gutes Gefühl bei dieser Sache und ich merkte, wie die Schwere, welche sich über die Zeit um mein Herz gelegt hatte, leichter wurde - auch wenn sie nicht komplett verschwand. Es tat gut wieder in einem Stall zu sein, mit Pferden umzugehen und zu merken, dass ich mich dabei nicht schlecht zu fühlen brauchte. Zumindest hatte ich kein schlechtes Gewissen meinem verstorbenen Hengst gegenüber. Ich seufzte ein bisschen erleichtert und verließ die Box der beiden, nicht ohne ein letztes Mal auf Samir zu blicken, der gerade unter dem Bauch seiner Mutter verschwand um seinen Hunger zu stillen. Ich war zufrieden. Zufrieden mit mir und diesem heutigen Tag.

Als ich wieder quer über den Hof maschierte, bemerkte ich wieder den Rapphengst der jedoch dieses Mal seine Besitzerin direkt dabei hatte. Bei ihr stand eine Blondine mit einem weißen Oldenburger. Entspannter als am Tag davor, ging ich zu ihnen herüber und musterte die beiden Duos. "Und, hat Black Eye gearbeitet?", fragte ich beim ankommen und legte den Kopf leicht schief, den Rapphengst musternd. "Mehr oder weniger, er macht es mir nicht sonderlich leicht - eigentlich nie.", hörte ich die Worte Vivi's und schmunzelte schwach. "Das ist Julia.. und das ihr Wallach Lancado - aber sie besitzt noch 20.000 andere Pferde..", der neckende Tonfall war mir nicht entgangen. "Hey.. ich bin Nadine und kümmer mich um Samir..", erklärte ich locker und reichte ihr die Hand. "Oh! Endlich hat er einen 'eigenen' Menschen!", irgendwie kamen mir Julia's Worte bekannt vor und ich warf einen Seitenblick zu Vivi. Schwer konnte ich ein Gähnen unterdrücken, weshalb ich mich auch schon bald verabschiedete. Mit einem zufriedenen Ausdruck im Gesicht stieg ich hinter das Lenkrad des Audis, startete den Wagen und trat die Heimreise an. Das Gefühl, dass mich dabei packte, konnte ich nicht beschreiben - wie so häufig - doch es fühlte sich so an, als wäre der heutige Tag, der normalste auf der Welt gewesen und ich wusste wieder, wo ich hingehörte..

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