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Raffi #06 - Einmal alles neu

in Leila 11.03.2022 19:12
von Leila • 102 Beiträge | 174 Punkte

Die etwas skurrile Geschichte davon, wie Raffi zu ihrer neuen Wohnung kam.


Sie war dann tatsächlich nicht am nächsten, sondern "erst" am übernächsten Tag mit Esme umgesiedelt. Für die Stute war es einfach nur eine weitere Hängerfahrt und eine andere Box für die Nacht. Im letzten Jahr hatte sie damit wieder Routine bekommen, wenn Raffi mit Karin auf mehrtägigen Turnieren unterwegs gewesen war. Sie hatte zur einen Seite eine leere Box, auf der anderen Seite stand ein Schimmelwallach, dessen Besitzerin wie ein Fotomodell ausgesehen hätte, hätte sie sie nicht schon einmal mit einem Kleinkind im Arm getroffen. Gegenüber standen zwei Fuchsstuten und ein Dunkelbrauner, zwei davon waren ebenfalls Dressurpferde, das dritte ein Vielseitigkeitspferd und als Raffi mit ihrem Besitzer Pierre Luz in ein Gespräch gekommen war, hatte der gelacht und gesagt "Reitstall Elwen? Da hat Nane auch schon gestanden! Aber das war bevor ich sie gekauft habe."

Insgesamt schien Esme sich nicht unwohl zu fühlen, doch nach drei Tagen hatte Raffi gemerkt, wie sie anhänglicher wurde. Das passierte bei längeren Turnieren mal und auch wenn Esme mit Pferden, Ställen oder Menschen nicht fremdelte, wusste Raffi ihre Anhänglichkeit als die Frage zu deuten, wann es denn nach Hause gehen würde. Sie sollte übergangsweise noch alleine auf einer Weide stehen und dann ab Mitte September mit auf die große Weide gehen, wo auch Nane, die andere Fuchsstute und noch ein paar andere Pferde aus ihrer Stallgasse mit in der Gruppe standen. Raffi wusste aus Erfahrung von den letzten beiden Stallwechseln, dass Esme ihre Zeit brauchte, ehe sie eine Box als ihre und den Aufenthalt nicht als Ausflug ansah. Es stresste sie jedoch nicht so sehr, wie das bei anderen Pferden gerne mal beobachtet wurde. Sie wusste, es würde langsam überstanden sein, wenn die Braune ihr Schmusebedürfnis wieder etwas zurückfuhr und sie war ihr nicht böse drum.

Da sie eh noch bis Mitte September nicht arbeiten musste, fuhr Raffi täglich für mehrere Stunden zum Stall und ließ einfach mal die Seele baumeln. Esme war ihr die beste Gesellschaft und ein ums andere Mal hatte sie bei Maria vorbei geschaut, hatte sie beim Einkaufen unterstützt und auf ihre Nichte aufgepasst, die jetzt schon von fast nichts anderem brabbelte als ihrer Einschulung im folgenden Jahr - dabei war noch nicht mal Weihnachten gewesen! Sie hatte viel Zeit zu Hause mit den beiden Katern verbracht und hatte dabei festgestellt, wie eng die Wohnung doch werden konnte, wenn man nichts geplant hatte. Immer wieder hatte sie es bei schönem Wetter bereut, weder einen Balkon noch einen Garten zu haben und so hatte sie die Kater immer wieder mal zurück gelassen und hatte den Park besucht oder war Radfahren gegangen, um noch mehr in die Natur zu kommen. So schön es am Stall war, es war eben nicht vor der Haustür und für den Weg nach Moorwiesen musste sie sich dann doch täglich ins Auto setzen, denn 30km waren mit dem Rad nicht ohne weiteres machbar. Sie hatte sich am Anfang ausgemalt, dass das gut passte, wenn sie eh täglich in Rabenitz war. Dann hatte sie jedoch auch wieder mit Frau Reitling telefoniert, die mit ihr abklären wollte, ob sie Home-Office in Anspruch nehmen wollte, da man dabei war, ihre Arbeitsmaterialien und in dem Zusammenhang eben auch ihren Rechner anzuschaffen. Da man für Recherchearbeit eh viel unterwegs war und Schreiben eigentlich überall ging, war nur eine Anwesenheitspflicht von zwei Tage wöchentlich nötig und so konnten bis zu drei Tage außerhalb des Büros gestaltet werden.
Das bedeutete allerdings, dass Raffi an diesen Tagen eventuell trotzdem um Rabenitz herum zum Stall fahren musste und wie sie es auch drehte und wendete, frei nach "Einmal alles neu" wäre eine Wohnung in Rabenitz schon praktisch und beim Gedanken, für ihre beiden Kater einen sicheren Balkon oder sogar einen Garten zu haben, musste sie lächeln. Nero liebte es, im Herbst eingeschleppte Blätter zu jagen und nicht selten brachte sie ihm mal eines mit. Fuchur hingegen mochte sonnenbeschienene Plätze und Katzengras, den Wasserbrunnen und Orte von denen er ungesehen alles beobachten konnte. Beide hätten ihren Spaß daran, auch mal rauszugehen!

Sie hatte also angefangen, auch nach Wohnungen Ausschau zu halten und ihre Fahrten nach Rabenitz für Wohnungsbesichtigungen zu nutzen. Es gab Wohnungen, die in den Anzeigen so schön ausgesehen hatten und dann aber in echt und Farbe deutlich enger, verwinkelter und unschöner waren. Es gab zwei Wohnungen, bei denen andere Interessenten den Zuschlag bekamen und es gab Wohnungen, bei denen die Vorstellungen weit auseinander gingen. Sie nahm sich jeden Tag Zeit die Anzeigen zu scannen, Anfragen zu verschicken und Telefongespräche zu führen. Doch da hörte es nicht auf und schließlich mobilisierte auch ihre Schwester die Kontakte, die sie als Kinderärztin hatte. Auf einen Schlag hagelte es Anrufe mit Angeboten über Kellerzimmer, Wohnungen oder ganze Häuser in der Umgebung von Rabenitz.
"Sis, kann es sein, dass du einfach jedem erzählst, dass deine Schwester grade eine Bleibe sucht?", fragte Raffi Maria einmal.
"Kann sein, dass ich es hier und da erwähnt habe, wie du drum gebeten hast", antwortete sie gedankenverloren, während sie Kartoffeln für das Abendessen schnitt.
"Die Leute rufen an und bieten von Kellerlöchern bis hin zu Häusern außerhalb der Stadt alles an", lachte Raffi.
"Manchmal kommen Angebote von Stellen und in Formen, wie du selbst nicht danach gesucht hast", kommentierte sie es nur und füllte den Kartoffeltopf mit Wasser.

Raffi ahnte noch nicht, wie Recht ihre Schwester damit behalten sollte. Zwei Tage nach dem Gespräch hatte sie sich grade mit den Katzen auf Sofa gekuschelt, als das Telefon klingelte.
"Guten Tag, Spreche ich mit Frau Hoffmann?", klang es vom anderen Ende.
"Ja, die bin ich, mit wem spreche ich?", fragte Raffi nach.
"Clara Rasputin mein Name. Ich hab ihr Nummer von meiner Freundin Bettina und die hat sie von ihrer Tochter. Oder ihrem Sohn? Jedenfalls ist ihr Enkel Patient Ihrer Schwester und da habe ich von Ihrer Notlage mit der Wohnung gehört und ich dachte mir: Lieber über zwei Ecken als jemand vollkommen unbekanntes", erzählte die Anruferin fröhlich vor sich hin.
"Guten Tag Frau Rasputin, danke, dass sie anrufen! Wie wollen Sie mir denn bei meiner Wohnungssuche helfen?", erkundigte sich Raffi.
"Nunja, ich besitze da dieses Haus im Westen von Rabenitz. Also eigentlich weiß kaum noch einer, dass das hier früher ein eigener kleiner Ort war, ich kann mich da ja auch fast nicht dran erinnern. Jedenfalls ist da dieses große Haus, das ich ganz für mich habe. Die Wohnung in der oberen Etage ist schon lange an einen Konzertpianisten vermietet, der Tag um Tag immer schön spielt. Jetzt ist es mir in meiner Etage aber auch langsam zu groß, ach was sage ich, eigentlich habe ich schon seit vielen Jahren nicht mehr alle Zimmer genutzt. Sie müssen wissen, ich bin schon 74 Jahre alt und brauche so viel Platz nicht mehr, aber ich fühle mich dort so wohl und möchte auch nicht weg. Jedenfalls hat mein Notar, der liebe Herr Kessel mir erzählt, dass etwas gibt, was die Leute Generationen-Wohnprojekte nennen", erzählte Frau Rasputin weiter vor sich hin.
"Eigentlich suche ich nach einer Wohnung für mich", versuchte Raffi es vorsichtig.
"Nein nein, keine Sorge, das ist nicht so wie die ganzen Studenten das machen mit jeder in seinem Zimmer und dann streitet man sich um Putzpläne und wem welcher Topf in der Küche gehört! Sie müssen wissen, das Erdgeschoss des Hauses hat schon sechs Zimmer, eine Küche, zwei Bäder und eine sehr großzügige Diele. Wir haben die Wohnung schon in zwei geteilt und eines der Zimmer hat Anschlüsse für eine Küche bekommen. Ich bin mit zwei Zimmern, einem Bad und einer Küche zufrieden, alles klein und übersichtlich. Und dann hat die andere Wohnung noch zwei Zimmer und den Durchgang vom Wohnzimmer auf die Terasse. Aber ich habe auch noch einen eigenen Zugang zum Garten durch den Keller. Sie müssen wissen, ich liebe den Garten, aber er wächst mir alleine über den Kopf und er ist viel zu schade, um nur immer wieder einen Gärtner dafür zu bezahlen, dass er ihn mal hübsch macht."
"Frau Rasputin, was wäre außer einer Miete die Gegenleistung, die Sie für die Wohnung erwarten?", fragte Raffi vorsichtig.
"Nunja, ich hoffe einfach das wieder mehr Leben in mein Haus kommt. Ich mag ein bisschen Gesellschaft und ich mag es zu sehen, wenn der Garten benutzt wird. Außerdem habe ich weder Kinder noch Enkel, die mich besuchen können, sondern nur meine Kaffeerunde und die Bingogesellschaft."
"Ich habe zwei Katzen, wäre das denn auch in Ordnung?", fragte Raffi weiter.
"Oh ja, ich hatte mein Leben lang Katzen, doch als meine letzte vor zwei Jahren eingeschläfert wurde, habe ich keine neue aus dem Tierschutz geholt. Ich hatte zu viel Sorge, dass ich einer weiteren Katze nicht mehr gerecht werden kann. Sie müssen wissen, ich in schon 74 Jahre alt", erklärte sie.
"Wie wäre es, wenn ich in den kommenden Tagen einfach mal vorbeischaue, wir gemütlich einen Kaffee trinken und uns kennenlernen? Dann können Sie sehen, ob Sie mir ihre Wohnung vermieten wollen und ich kann sehen, ob mir die Wohnung gefällt", schlug Raffi vor.
"Oh das ist eine ganz hervorragende Idee!", freute sich Frau Rasputin, "Ich hole schnell meinen Kalender und dann machen wir einen Termin!"

Als sie mit Maria telefonierte, fiel die fast aus allen Wolken.
"Oh, in Berken leben unfassbar viele reiche Snobs, die ihre Bediensteten dafür bezahlen die Parkettböden zu polieren", entfuhr es ihr, "Da stehen ganze Straßenzüge voll mit Jugendstil-Villen, so richtige Altbauten mit Stuckdecken und Vertäfelungen. Da fehlen oft nur die Familienwappen über den Kaminen. Viele Leute bilden sich da was auf ihren früheren Adel ein und tragen das ganz offen vor sich her!"
So hörte Raffi ihre Schwester seltener reden, denn Maria hielt sich mit Urteilen immer sehr zurück. Von Frau Rasputin hatte sie jedoch noch nie gehört und konnte ihr nichts sagen.
"Vielleicht ist es ja auch einfach ein normales Einfamilienhaus. Sie erzählte, dass es ihr zu groß wird und sie es wieder mit mehr Leben füllen will. Deswegen vermietet sie die Hälfte des Erdgeschosses", erzählte Raffi, "Ich weiß noch nicht so ganz, was ich davon halten soll. Auf der einen Seite wäre es schon eine Wohnung für mich, auf der anderen hat sie es als Generationen-Wohngemeinschaft bezeichnet."
"Fahr einfach hin und schau es dir an. Wenn die sich dann vorstellt, dass ihr alles zusammen macht und du auch noch den Haushalt für beide Wohnungen schmeißen darfst, kannst du immer noch absagen", empfahlt Maria.
"Erinnerst du dich an unsere Großeltern?", wechselte Raffi auf das Thema, das sie seit dem Anruf am Vorabend beschäftigte.
Die Eltern ihrer Mutter waren beide schon vor der Hochzeit ihrer Eltern gestorben. Die Eltern des Vaters, als Raffi noch zu klein gewesen war, um das richtig zu verstehen.
"Nicht an viel. Ich weiß, dass Opa immer gerne Domino gespielt hat und ich erinnere mich, dass wir vor Weihnachten mit Oma Kekse gebacken haben", erzählte Maria und Raffi sah sie quasi durchs Telefon verträumt lächeln, "Bei Opa war es wohl klar, dass er sterben würde, aber Oma kam dann überraschend nur eineinhalb Jahre später. Papa hat immer gesagt, sie sei an gebrochenem Herzen gestorben"

Am übernächsten Tag fuhr Raffi also nach Berken, um sich die Wohnung anzusehen und mit Frau Rasputin bei Kaffee und Kuchen die Details zu besprechen. Ihre Erwartung doch nur eines der Einfamilienhäuser zu erwischen wurde nicht wahr, stattdessen fand sie die Hausnummer an einer hell verputzten "kleinen" Villa. Durch ein offenes Fenster im Obergeschoss klang leise Klaviermusik auf die Straße - so richtig Klischee! An der Fassade waren deutlich weniger Stuck-Verzierungen angebracht als an den Umliegenden Häusern, doch die Leute, die auf der Straße unterwegs waren, entsprachen größtenteils dem Bild, das Maria gemalt hatte. Während sie sich noch umschaute, ertönte aus der Gegensprechanlage schon Frau Rasputins Stimme:
"Gehen Sie einfach links um das Haus herum, wir treffen uns hinten auf der Terasse. Ich muss nur noch schnell den Kaffee in die Thermoskanne füllen. Nehmen Sie Milch oder Zucker zum Kaffee?"
"Äh!", machte Raffi einen eloquenten ersten Eindruck, "Beides wäre ganz klasse"
Dann machte sie sich auf den Weg und fand im Garten die versprochene Terasse. Statt aber weißem Spitzendeckchen und gestärker Tischdecke lag dort eine schlichte Tischdecke mit Blümchenstickmuster und es standen schlichte Blumen neben Zuckerdose und Milchkännchen. Auf einem kleinen Servierwagen, der auch eher praktisch als elegant wirkte, stand eine Platte mit verschiedenem Kuchen. Die Terasse lag ebenerdig mit dem halbhohen Erdgeschoss und eine Treppe führte in den Garten. Gerade als Raffi eben diese Treppe hinaufsteigen wollte, öffnete sich neben der Treppe eine Tür, die wohl zum Keller führte, und Frau Rasputin betrat den Garten mit einer Kaffeekanne in der Hand.
"Guten Tag Frau Rasputin, Raphaela Hoffmann", grüße Raffi sie und strecke die Hand aus.
"Frau Rasputin hier, Frau Rasputin da, ich bin es leid, dass immer alle so auf Abstand gehen, nur weil ich Rentnerin bin. Am Telefon ist das ja alles schön und gut, aber ich bin nicht hier wohnen geblieben, um mit den Schnöseln rundum in eine Schublade gesteckt zu werden!", echauffierte sie sich, schüttelte Raffis Hand und drückte der zunehmend perplexen, jungen Frau die Kaffeekanne in die Hand, "Einmal bitte nehmen, ich habe auf Treppen gerne die Hände frei. Wir können uns ab jetzt ruhig duzen, ich bin Clara!"
Völlig verdattert folgte Raffi ihr die Treppe hoch, legte ihre Tasche auf einem wie zufällig bereitstehenden Hocker ab und stellte die Kaffeekanne auf den Tisch. Clara hatte derweil die Abdeckung von der Kuchenplatte genommen und je ein Stück auf einen Teller gepackt.
So sehr sie wie eine Grand Dame wirkte, so wenig erfüllte Clara das Klischee und je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr verwirrte es Raffi.
"Ja, ähm, das können wir gerne machen. Ich bin Raphaela", ging sie mit reichlicher Verspätung auf das Angebot ein und setzte sich.
"Gut, jetzt wo wir die Förmlichkeiten abgelegt haben, können wir ja gemütlich Kuchen essen. Ich hoffe, Pflaume ist in Ordnung", sagte Clara nur und begann zu essen.
Sie unterhielten sich 20 Minuten über die weiteren Details zur Wohnung. Claras Vorstellungen waren durchaus realistisch: Wenn es sich anböte, würde sie sich darüber freuen, wenn Raffi mal beim Tragen von Einkäufen half und sich des Gartens annahm, der in der Miete voll inbegriffen war. Für Sträucher und Bäume kamen jährlich einmal Gärtner, auch fürs Mähen des Rasens bezahlte Clara einen Teenager aus der Nachbarschaft alle paar Wochen mal. Alles weitere würde Raffi nach ihren Vorstellungen gestalten können. Clara hatte immer viel Wert darauf gelegt, dass Zäune und Hecken gut gepflegt waren und das Eindringen des Efeus weiter verhindert wurde, den die Nachbarn so wild wachsen ließen.
"Ich habe vor vier Jahren meinen Nutzgarten aufgeben müssen. Es wurde einfach zu viel Arbeit. Nur den Apfelbaum habe ich stehen lassen und die Wege sind auch geblieben. Die Gärtner haben alles andere weggenommen und Rasen gesäht", erzählte Clara.
Ihr Blick schweifte in den Garten, wo die Wegplatten des Nutzgartens noch zu sehen waren. Raffi schwärmte vom Garten ihrer Eltern und was sie dort als Kind alles kennengelernt hatte. Von der Karftoffelpflanze die buschig gewachsen war, am Ende aber nur etwa daumengroße Kartoffeln abgeworfen hatte und von den Kräutern, die sie beim Spielen immer stibitzt hatten.

"Eines verstehe ich nicht. Sie wohnen hier in der Gegend, haben offensichtlich kein besonders gutes Verhältnis zu den Nachbarn und wollen trotzdem hier wohnen bleiben?", fragte Raffi.
Clara kicherte.
"Oh, da werden die sich grün und blau ärgern! Seit mein lieber Karl verstorben ist, hoffen sie darauf, dass ich irgendwann mal verkaufe. Du musst wissen, Karls Großvater hatte mit einem Kaufladen im damals kleinen Rabenitz angefangen und dann ist das gewachsen und gewachsen und als Karl es schließlich von seinem Vater geerbt hat, war aus dem Laden ein großes Kaufhaus geworden. Als er vor 10 Jahren in Rente ging, hat er es noch eine Weile auf seinen Namen laufen lassen, dann hat er verkauft, weil wir keine Erben haben. Jedenfalls brachte das Unternehmen in seiner aktiven Zeit genug Geld, dass wir hier kaufen konnten, als eine ehemals reiche Fischerfamilie insolvent ging. Es war damals für uns ein gewaltiger Glückgriff, aber den Nachbarn natürlich ein Dorn im Auge, dass wieder jemand von den Neureichen hier einzog", erzählte Clara mit glänzenden Augen, "Sie waren schon verärgert, als ich den Fauxpas beging, das obere Geschoss zu vermieten. Aber gegen Johannes' Klavierkünste kann man nur schwerlich etwas sagen, es bringt eine so schöne Atmosphäre auf die Straße. Viel lieber wäre es ihnen natürlich er wäre mein Sohn oder Schwiegersohn. Tatsächlich haben wir bis auf den ein oder anderen Plausch aber nichts miteinander zu tun und das ist immer noch mehr als mit den anderen Nachbarn. Aber wir haben genug geredet, du willst doch sicher die Wohnung sehen!"
Raffi nickte "Ja, unter anderem deswegen bin ich hier", erklärte sie.
"Wo hab ich denn den Zettel?", grübelte Clara, während sie in den Taschen ihrer Strickjacke grub, "ah hier!"
Sie zog einen Zettel aus der Tasche und faltete ihn auf.
"Ich habe diese ganzen Details nicht im Kopf und denke, dass die Wohnung eh für sich sprechen muss. Also wenn du dich nicht für technische Details interessierst, kannst du jetzt einfach interessiert gucken und weghören"
Raffi musste lachen, war aber gespannt, was Clara mit technischen Details meinte.
"Also", räuperte die sich, "Das gesamte Erdgeschoss umfass mit der Diele etwa 120qm, abzüglich der Diele bleiben dann gut 90, von denen dann etwa 60 für dich sind und die restlichen 30 für mich. Mach dir keine Sorgen, das ist genügend Platz. Was soll ich mit mehr außer zu viele Sachen anschaffen, die ich dann doch nicht brauche? Der Keller ist inzwischen voll genug!"
Raffi stutzte. Ihre aktuelle Wohnung hatte etwa ebenso viel Platz, allerdings war das mit etwas Dachschräge und mit normalhohen Räumen.
"Der Boden ist Parkett, nur in Bädern und Küche sind Fliesen verlegt. Außerdem waren wir den Hall in den hohen Räumen Leid und haben schon vor Jahren lärmschluckende Elemente an den Decken anbringen lassen. Damit ist zwar der Stuck innen verschwunden, aber den fand ich eh immer übertrieben!", kommentierte sie weiter, "Vor zwei Jahren ist die Elektronik erneuert worden, als Johannes oben eingezogen ist. In dem Zuge haben wir auch einfach schon Internet mit gelegt. Ich selber brauche das zwar fast überhaupt nicht, aber heutzutage ist das Standard hat man mir gesagt"
Sie staunte nicht schlecht. Hohe Decken ohne Stuck, neue Elektronik und Kabelinternet in allen Räumen war für ein Haus und auch eine Besitzerin dieses Alters sehr fortschrittlich.
"Die Heizung läuft über Gas, ich hatte aber schon Fachleute hier, die sich die Statik des Daches angeschaut haben, denn die Südausrichtung wäre für eine Solaranlage super. Ich muss noch mal nachfragen, wie es damit aussieht, denn ich interessiere mich da doch sehr für und das nicht nur, um den Nachbarn auf die Füße zu treten! Strom kommt hier aus Wind- und Wasserkraft aus der Umgebung, Rabenitz hat da vor ein paar Jahren massiv mit geworben und die Lage gibt beides her. Karl hat damals direkt zugeschlagen, allerdings hatte er es auch ein bisschen vorab mitbekommen. Zu deiner Wohnung gehört ein Abstellplatz für das Auto und ein eigener Kellerraum, außerdem ein Platz für deine Waschmaschine im Waschkeller"
Raffi nickte anerkennend. Sie einigten sich, die Räumlichkeiten zu besichtigen und räumten alle Kaffeeutensilien in den Servierwagen.
"Solange noch keiner hier wohnt, schiebe ich den Wagen noch durch die Wohnung", gestand Clara und sie betraten das Wohnzimmer der Wohnung.
So komplett blank fühlte sich Raffi etwas verloren in dem riesigen Raum, aber der Erker gefiel ihr gut und sie sah dort direkt einen Sessel stehen, der von einem beistelltisch und einer Pflanze begleitet wurde. Auch das Schlafzimmer war großzügug, das Bad war zwar etwas lang gestreckt, wartete aber mit Dusche und Badewanne auf und hatte darüber hinaus auch noch eine Fußbodenheizung, wie Clara erklärte. Die Küche verfügte über eine geschmackvolle Küchenzeile mit sinnvoller Aufteilung und es passte noch ein gemütlicher Esstisch dorthin. Sie zeigte ihr außerdem die große Diele mit der geschwungenen Treppe ins Obergeschoss und den Keller mit Kellerraum und Waschkeller. In der Wohnung hatte es überall nach frischer Farbe gerochen und Clara erzählte, dass die Rennovierungsarbeiten erst vor wenigen Tagen beendet worden waren. Raffi lobte die Tatsache, dass mandie Umbaumaßnahmen nicht sah und erfuhr, dass das Wohnzimmer früher doppelt so groß gewesen war und unterteilt worden war. Clara musste kichern, als sie erzählte, dass sie jetzt in den früheren Dienstbotenzimmern lebte.

"Ok, das gefällt mir tatsächlich sehr gut", gestand Raffi und schluckte, denn jetzt kam die Frage, die wahrscheinlich alles kippen würde, "Wie sähe es denn mit der Miete aus?"
Clara sagte es ihr.
"Was?!? Da wirst du doch arm dran!", entfuhr es Raffi.
"Nixda! Natürlich verdiene ich nichts daran und wenn es nach mit ginge, würde ich die Wohnungen zum Selbstkostenpreis abgeben, aber da spielt mein Steuerberater nicht mit! Ich habe keine Kinder und keine Enkel, die mir hier Besuch leisten und mit meinen Mädels treffe ich mich immer außer Haus oder im Sommer mal im Garten. Mit ist die Gesellschaft durch zwei menschen im Haus sehr viel mehr wert als das Geld. Davon habe ich genug!", verteidigte sich Clara.
Da fiel es Raffi wie Schuppen von den Augen. Clara war seit vier Jahren verwitwet. Wahrscheinlich hatte das gesellschaftliche Leben, an dem sie durch die Geschäfte ihres Mannes mit teilgenommen hatte, größtenteils abgebaut. Außer den Damen, mit denen sie Kaffee trank und Bingo spielte, war nicht viel geblieben. Sie hatte keine Kinder oder Enkel, die sie besuchten oder die sie besuchen konnte, ihre Katze war verstorben und ihre Nachbarn waren mit ihr nicht grün. Resolut und humorvoll wie sie war, musste die Frau, der sie gegenüber stand, ein recht einsamer Mensch sein.
Was sie deswegen wollte, war ein bisschen Gesellschaft im Haus, das mit nur einer Person wahrscheinlich zu viele eigene Geräusche machte. Im Gespräch war es Raffi nicht erschienen, als sei Clara auf ihre Hilfe angewiesen. Viel eher vermutete sie, dass Clara von dem Schlag Menschen war, die sich dann doch mit nichts helfen ließen. War das nicht genau das, was sie selbst auch gesucht hatte? Ein bisschen Anschluss, einen Garten und eine hübsche Wohnung in Rabenitz? Es standen zwar noch Besichtigungen aus, aber Raffi merkte, dass sie sich schon in den Erker, den Garten und dieses große Haus verguckt hatte und von jetzt an würde sie alle Wohnungen nur noch mit dieser vergleichen. War es dann nicht einfach das beste, direkt zuzusagen?
"Wann stünde die Wohnung denn zur Verfügung?", fragte sie deswegen.
"Ach Raphaela, du siehst, die Wohnung ist gesaugt und gestrichen. Die Schlüssel habe ich drüben und den Mietvertrag kann mein Notar mir ganz schnell fertig machen. Die Frage wäre, wann du einen Umzugstermin findest!", lachte Clara und überraschte Raffi damit einmal mehr.
"Wie gesagt, es läuft alles darauf hinaus, dass du dich hierfür entscheidest und einziehst, den Rest regeln wir dann schon", erklärte Clara noch einmal und hielt Raffi die Hand hin.
Egal ob sie schnell einen Nachmieter fand oder nicht, die Miete der neuen Wohnung würde als Zusatz zu ihrer alten kein Loch in ihre Finanzen reißen. Außerdem hätte sie eine Übergangsphase, alle Sachen rüber zu bringen und sich neu einzurichten. Sie zögerte noch kurz dann schlug sie ein.

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